Der Großteil der Bevölkerung unserer Stadt war gefangen.

Mein Name ist Oleg. Ich bin 38 Jahre alt und komme aus der Stadt Mariupol.
Am ersten Kriegstag, es war der 24. Februar 2022, ging ich wie immer morgens ganz früh, gegen 5:20 Uhr zur Arbeit. Ich hörte eine sehr starke Explosion vermutlich irgendwo am anderen Ende der Stadt ( im Bezirk Vostochny). Da wir seit 8 Jahren eine Demarkationslinie mit der DVR haben, hat mich das erstmal nicht weiter beunruhigt. Ich dachte, dass die Geräusche von der Seite der DVR zu hören sind.
Ich kam also ganz normal bei der Arbeit an, war ein wenig zu früh und wartete auf den Beginn des Arbeitstages. In meiner Firma ist es sehr laut, es ist ein Produktionsunternehmen. Also hörte ich den ganzen Tag auch nichts, was mich nervös machte. Doch als die Jungs kamen, sagten sie, dass es irgendwo in der Nähe sehr starke Explosionen gab. Unser Chef sagte uns, wir sollten nach Hause gehen und auf einen Anruf warten, wann wir wieder zur Arbeit kommen sollen.
Also ging ich nach Hause. Unterwegs sah ich riesige Schlangen vor Tankstellen, Geldautomaten und Geschäften. Es waren chaotische Verhältnisse und ich hatte Schwierigkeiten, mein Haus zu erreichen. Es war bereits 8:00 Uhr am nächsten Morgen als ich endlich zu Hause war. Meine Kinder blieben an dem Tag zu Hause; der Unterricht in Schulen, Kindergärten war abgesagt worden. Alles schien todernst, aber wir konnten trotzdem nicht glauben, was gerade passierte.
Der Großteil der Bevölkerung unserer Stadt war gefangen. Wir stellten schnell fest, dass unsere Stadt schon umzingelt war. Für eine Flucht schien es schon zu spät, es war bereits unmöglich die Stadt heile zu Verlassen. Im Stadtzentrum und in den Gebieten, die in Richtung der Stadt Berdjansk lagen, landeten immer neue russische Truppen in unregelmäßigen Abständen. Von dort aus rückten die Eindringlinge vor und besetzten die ganze Stadt.
Wir wohnten in der Innenstadt weit oben in einem Hochhaus. Schnell könnte das zu einer Falle werden. Deshalb entschieden wir uns am 2. März, zu meiner Oma in die 2. Etage des Nachbarhauses in eine Einzimmerwohnung zu ziehen. Dort hielten wir uns alle im Flur auf, als die Raketen einschlugen. Das ganze Haus hat gezittert, die Fenster im Eingang sind geborsten. Als es ruhiger wurde, bin ich rausgegangen und habe schaute mich vorsichtig um. Viele Fenster in Wohnungen und Autos sind rausgeflogen. Wir lebten also von nun an voller Angst und Sorge zu siebt im Flur einer Einzimmerwohnung…
Vom 3. bis 17. März lebten wir in genau dieser Situation mit einer konstanten Spannung und quälender Angst. Meist sind wir gegen 19:00 Uhr eingeschlafen: Irgendwo hörten wir immer die Flugzeuge und wir wussten nie, wohin die Geschosse fliegen würden. In solchen Momenten lag ich immer auf meinen Kindern und dachte: Wenn etwas passiert, sehen sie und sehe ich wenigsten nichts davon.
Es gab kein Licht, Gas, Kommunikation und Wasser in der Wohnung: Also mußten wir auf der Straße kochen. Selbst beim Kochen kamen wir unter Beschuss. So ging es nicht weiter.
Am 17. März sind wir also noch ein viel größeres Risiko eingegangen – wir wollten einfach weg hier. Wir rannten zu unserem Auto und schnappten uns auch noch einen Nachbarn. So flüchteten wir mit 8 Personen, 3 Katzen und einigen Taschen in einem einzigen Pkw. Wir fuhren durch die Stadt und sahen, dass die Stadt zerstört und mit Leichen übersät war.
Erleichterung machte sich breit als wir weniger zerstörte Regionen fanden. Es gab Wasser, Licht und Internet. Jetzt klingt das Wort Internet lächerlich, aber damals war es unsere einzige Verbindung zur Außenwelt. Ich wollte allen, die sich um uns Sorgen machten sagen, dass alles in Ordnung ist mit uns. Dann mußten wir überlegen, was wir als nächstes tun wollten.
Unsere kleine Gruppe hat sich entschieden, nach Deutschland zu gehen. Aber ich konnte nicht mitgehen, aus persönlichen Gründen konnte ich die Ukraine nicht verlassen. Also sind meine Frau und meine Kinder Anfang April abgereist, ich blieb mit meiner Großmutter zurück, nicht wissend was diese Trennung für uns alle bedeuten würde. Dank der Caring-Community Heilbronn hat meine Familie wunderbare Menschen kennengelernt, die Ihnen das Vertrauen in die Zukunft zurückgegeben haben.
Ende April konnte ich nach Mariupol zurückkehren, aber es war bis auf das AZOVSTAL-Stahlwerk bereits besetzt, ich wurde an den Stadtrand gebracht und ging zu Fuß in meine Heimatstadt (ein Viertel mit 1000 Kleinigkeiten). Es war einfach schrecklich, alles war kaputt, überall lagen Leichen und ich war sehr besorgt um die, die dort geblieben sind, Nachbarn, Bekannte. Ich wusste zum Bespiel, dass ein Freund von Freund verwundet war, aber ich wußte nichts genaues.
Ich werde den Tag nie vergessen, als ich zu seinem Hof ging, und er dort mit seiner Familie auf einer Bank saß und sie sich Kaffee auf einem Feuer brühten. Mir kamen die Freudentränen. Natürlich gab es auch jede Menge schlechte Nachrichten. Einige Freunde und ein Klassenkamerad sind gestorben. Doch dieser Moment gab mir Kraft.
Von April bis August versuchte ich mit in dieser neuen russischen Welt zurechtzufinden, Ich lebte am Lagerfeuer, Wasser holte ich an nahegelegenen Quellen, ich stand ewig in Menschen-Schlangen für russische Starterpakete. Auch musste ich eine Filtration durchmachen, ein demütigendes Ereignis.
Dann, im August habe auch ich mich entschieden, nach Deutschland zu gehen, zu meiner Familie. Doch meine Mutter und meine Schwiegermutter wollte ich nicht zurücklassen. Also nahm ich kurzerhand Beide mit. In den besetzten ukrainischen Gebieten, gibt es keine Perspektive mehr für mich, in Deutschland schon.